Wohnen nach Maß
Sind Sie reif für ein Tiny House?
Klein, nachhaltig, günstig: Tiny Houses sind in Zeiten von Gentrifizierung und steigenden Mietpreisen eine echte Alternative zum Wohnen im Mehrfamilienhaus. Allerdings gehen die Meinungen auseinander. Während sich einige das Leben im Tiny House gut vorstellen können, ist es für andere bloß eine eingerichtete Gartenlaube. Hat das Konzept bei uns also eine Chance?

Wir brauchen immer mehr Platz
Globalisierung und Digitalisierung beschleunigen unseren Alltag. Wir müssen optimiert denken und handeln – höher, schneller, weiter. Viele suchen gerade jetzt nach Halt und finden ihn in Form eines eigenen Hauses. Aber selbst die werden immer größer, fast so, als seien sie ein Spiegel unseres Lebensstils. Das Paradoxe: Der Fortschritt im Bereich der Energieeffizienz von Gebäuden verpufft, wenn wir pro Kopf immer mehr Wohnfläche in Anspruch nehmen.
Dennoch, unser Wohlstand wächst weiter und mit ihm wachsen unsere Konsumausgaben. Damit wir alles irgendwo verstauen können, brauchen wir viel Platz. Denken Sie auch schon an den vollen Dachboden oder an den Keller, den Sie seit fünf Jahren ausmisten wollen?

Das Small House Movement
Die Gegenbewegung zu „bigger is better“ – gewissermaßen eine kleine Rebellion der Häuslebauer – hat sich von den USA aus den Weg nach Deutschland gebahnt. Das Small House Movement ist seit der Finanzkrise erneut im Aufwind und moderne Tiny Houses sind unlängst mehr als rustikale Holzschuppen oder rostige Bauwagen. Sie trumpfen auf mit modernem Design, fortschrittlicher Ausstattung und umweltfreundlicher Technologie.
Alles muss auf maximal vierzig Quadratmetern untergebracht werden, meistens sind Tiny Houses jedoch deutlich kleiner. Das spart in erster Linie eine Menge Geld. Noch wichtiger: Wer sich für ein Tiny House entscheidet, will ein Statement setzen. Mit dem Kauf kommuniziert man unmittelbar ökologisches und soziales Bewusstsein. Downsizing wird zum Prinzip. Dass dieses Konzept gut funktioniert, zeigen Marken wie Apple, Nike oder Tesla, deren Produkte immer an einen bestimmten Lifestyle gebunden sind.


Neben der finanziellen Ersparnis schonen Tiny Houses vor allem die Umwelt. Das fängt bereits bei ihrer Herstellung an. In der Regel werden überwiegend natürliche Materialien und nachwachsende Rohstoffe für den Bau verwendet. Bei der Produktion kann im Vergleich zu gewöhnlichen Neubauten pro Quadratmeter ausreichend Energie eingespart werden, um das Tiny House ein ganzes Jahr zu heizen. Baut man also ein hundert Quadratmeter großes Energieeffizienzhaus, könnte man den Bewohnern des Minihauses allein von der eingesparten Herstellungsenergie einhundert Jahre lang eine warme Winterzeit bescheren.
Durch diesen geringen Energiebedarf sind viele Tiny Houses komplett autark aufgestellt: Der Strom kommt von Solaranlagen, die auf dem Dach montiert sind und fließt in Energiespeicher, falls er nicht benötigt wird. Auffangbehälter sammeln das Regenwasser, die Toiletten können mit Humus befüllt werden.
Perfekt für Single-Haushalte und Abenteurer
In großen Städten wie Berlin, Hamburg oder München besteht jeder zweite Haushalt aus nur einer Person. Im Zuge der Urbanisierung wird sich diese Entwicklung weiter fortsetzen. Für Singles, die besonders flexibel bleiben müssen und keinen hohen Kredit abzahlen wollen ist das Tiny House deshalb eine gute Alternative. Einige Modelle gibt es bereits ab 20.000 Euro und je mehr man selbst anpackt, umso günstiger wird es. Ein weiterer Vorteil: Je nach Standort bleibt genug Platz für einen Garten, den man selbst gestalten kann oder in eine Anbaufläche umwandelt. Außerdem spart man sich den Stress mit Nachbarn und Vermietern.
Aber auch für alle Ausreißer, die schon lange von einem Roadtrip träumen, ohne auf ihre gewohnte Umgebung verzichten zu müssen, ist ein Tiny House die richtige Wahl. Auf einem Anhänger montiert genießt man volle Mobilität und hat immer ein gemütliches Dach über dem Kopf. Ein Seeufer, eine Waldlichtung oder eine Bergkuppe mit Ausblick – was wird Ihre nächste Adresse?

Die Sache mit der Bürokratie
Der Trend zum Tiny House ist längst in Europa angekommen. Auf Facebook und YouTube findet man unzählige Fanpages, kreative Tipps und Vlogger, also Menschen, die den Traum vom eigenen Minihaus umgesetzt haben und ihr Leben in einem Videotagebuch festhalten. Das Tiny House trifft den Nerv der Zeit. In Deutschland lassen sich allerdings Viele von den Bauvorschriften abschrecken, denn sobald das Haus nicht nur als Gartenlaube genutzt wird, ist eine Baugenehmigung zwingend erforderlich – die kostet Geld und braucht Zeit.
Trotzdem wird das Konzept im urbanen Raum weiter verfolgt. So startet beispielsweise in Berlin gerade ein Modellprojekt mit dem Ziel, günstigen Wohnraum für ca. 100 Euro Miete pro Monat zu schaffen. Dabei bietet das kleinste Tiny House auf gerade einmal sieben Quadratmetern Wohnfläche alles, was man zum Leben benötigt. Wir können also weiterhin gespannt sein, ob sich die Idee langfristig als Alternative zur Stadtwohnung oder zum eigenen Haus durchsetzt.