Jäger der geklauten Bikes
Wenn ihm der Wind ordentlich um die Nase weht und er sich kraftvoll dagegenstemmen muss, um vorwärtszukommen, ist Martin so richtig in seinem Element. Aber wenn die Luft um ihn herum still ist, bringt das den Gründer von FahrradJäger aus Rostock nicht aus der Bahn, aber es irritiert ihn. Da kommt es ihm gerade recht, dass er auf dem Weg von der größten internationalen Fahrradmesse Eurobike im windstillen Friedrichshafen am Bodensee in seine Heimat einen Stopp in Berlin einlegt. Das ist nicht Mecklenburg-Vorpommern, aber immerhin empfängt ihn eine zarte Brise.



Martin ist verabredet mit Oliver Binder, dem stellvertretenden Filialleiter von Zweirad Stadler am Blankensteinpark. Braungebrannt, in Shorts, T-Shirt – und wie immer barfuß unterwegs – begrüßt er den Fahrrad-Experten, um ihm insect vorzustellen. Der Community-basierte Diebstahlschutz 4.0 für Fahrräder ist endlich serienreif und ein Produkt, das zu Berlin passt wie Vollbärte und Jutebeutel. Oder wie Fahrradfahrer, die rote Ampeln ignorieren und sich mit Autofahrern streiten.

Das Problem
Fahrradklau ist ein echtes Problem: Rund 30.000 Räder wurden 2014 in Berlin als gestohlen gemeldet. Tatsächlich dürften es mehr sein, denn die Dunkelziffer ist viel höher. Den meist in Banden organisierten Dieben ist es völlig egal, ob das Zweirad verrostet oder bestens in Schuss ist. Ein Schloss kann das nicht verhindern, allenfalls hinauszögern. In der Regel dauert das gerade einmal drei Minuten. Wer nicht will, dass sein E-Bike, Rennrad oder Trekkingrad unfreiwillig den Besitzer wechselt, lässt es also am besten in der Wohnung oder in der Garage stehen.
Die Lösung


Das wollte Martin wie eine halbe Million andere Berliner nicht. Und machte als Maschinenbau-Student in Rostock gleich mehrfach die schmerzvolle Erfahrung, dass er nur das Schloss vorfand. Beim fünften Mal platzte ihm endgültig der Kragen. Den Frust brüllte er vom WG-Balkon– die Löwen im nahegelegenen Zoo brüllten zurück. Ob das ein Zeichen war oder nicht – an dem Abend nahm sich Martin vor: „Ich will nie wieder alleine einem Fahrrad hinterherrennen wie vor 100 Jahren, sondern gemeinsam mit anderen auf die Jagd gehen.“
Aus der Idee entstand ein Studentenprojekt. Und nach sechs Monaten in Neuseeland wusste Martin: Daraus wird ein Produkt. Heraus kam insect, ein schlankes Gerät, das an der Trinkflaschenhalterung am Rahmen montiert ist. Das Insect ist mit der FahradJäger-App verbunden. Entfernt sich der Eigentümer von seinem Rad, stellt sich das Gerät scharf wie eine Alarmanlage. Macht sich jemand an dem Rad zu schaffen, schlägt insect Alarm, und zwar so laut wie ein hungriges Baby. Das ist die technische Komponente. Der Community-Gedanke ist für Martin aber viel wichtiger: insect informiert nicht nur den Besitzer, dass sein Fahrrad gerade gestohlen wird und gibt die aktuellen Standortdaten durch, sondern auch alle anderen Fahrradjäger in einem Umkreis von 100 Metern. Je größer die Community, desto mehr Signale erhalte ich und umso genauer kann ich den neuen Standort des Fahrrads bestimmen.
Nach dem Termin bei Zweirad Stadler nimmt sich Martin die Zeit für ein Wiedersehen mit seinem alten Kiez. An seine Berliner Jahre Mitte der 2000er erinnert er sich nicht gerne zurück. Viel zu groß, quirlig, bunt, laut und runtergekommen war ihm die Stadt als angehender Bankkaufmann. Eben nicht Rostock. Heute kommt Martin aus dem Staunen kaum heraus, während er vom Frankfurter Tor aus die Warschauer Straße Richtung Spree radelt: Sanierte Häuser haben die grauen Altbauten mit rissigen Fenstern und baufälligen Balkonen weitgehend abgelöst. Im Erdgeschoss Fahrradboutiquen, Mustafas Gemüsedöner, Bio-Supermärkte und Coffeeshops – seit Martin ein paar Straßen weiter im angesagten Szeneviertel Friedrichshain wohnte hat sich viel verändert. An der Spree atmet er ganz tief ein: Nach Salz und Meer riecht es nicht. Aber er genießt den sanften Wind und staunt über sich selbst:
